Ein Springerle ohne Fuß ist eine Ärgernuss!

Deutschland eine Bäckerreise – München

Über den Brenner kommt unser Dichter nach München und die Bayern sind natürlich bekannt für ihre Genießernatur. Hier gibt es neben den berühmten Brezen auch noch die bäuerliche Version, der weiter vorne schon erwähnten Frankfurter Brenten.

Münchner Marzipan ist vielen noch unter dem Begriff Springerle bekannt, wenngleich auch die meisten Bäcker oder Konditoren dieses weiße, zarte Gebildbrot schon lange nicht mehr herstellen. Viel zu aufwändig in der Herstellung sind diese kleinen Kunstwerke und deshalb in unserer durchrationalisierten Welt schon lange nicht mehr zeitgemäß. Die dazu benötigten Holzmodeln zieren höchstens noch die Wände der Bauernstuben. Dabei könnte man ganze Bücher über die Geschichte und Bedeutung der Holzmodeln und der darin gebackenen Gebäcke schreiben, denn sie waren immer schon ein Stück Zeitgeschichte und damit einem ständigen Wandel unterworfen. Die Modelschnitzer richteten sich natürlich immer nach der gängigen Mode und den Vorlieben ihrer Kundschaft. Deshalb sind die alten Holzschnitzereien geschnitzte Geschichte, manchmal findet man sogar ganze erzählte Geschichten in den kleinen Holzstücken.

Ursprünglich waren die Springerle ein Opfergebäck, ein heidnisches Gebildbrot für Wotan oder Perchta, deshalb gab man sich natürlich besondere Mühe um die Götter milde zu stimmen. Sonnenräder, Pferde, Stiere oder Bäume waren darauf abgebildet. Das Christentum nahm auch dieses Gebäck unter ihre Fittiche und gestaltete es entsprechend dem neuen Glauben um. Jetzt wurden schöne Modeln geschnitzt, in die der Teig gedrückt wurde. Maria und Josef, die Krippe, Ochs und Esel, das Christkind, Nikolaus, Engel und Hirten waren die neuen Motive für das alte Opferbrot. Diese Holzmodeln herzustellen war eine Kunst für sich und in den vergangenen Jahrhunderten sind wahre Meisterwerke entstanden. Auf dem Münchner Christkindlmarkt werden immer noch welche verkauft. Es gehört aber ein bisschen Fingerspitzengefühl dazu, um wirklich schöne Springerle herzustellen, und ein bisschen Zeit muss man sich lassen. Springerle müssen unten einen schönen Fuß haben und oben noch schön weiß sein. Aber wenn man die schönen Formen dann aus dem Ofen holt, dann hat sich die ganze Mühe gelohnt.


Genau weiß man es nicht woher der Name Springerle kommt, die einen neigen dazu, uns zu erklären, der Name kommt daher, dass das Gebäck beim Backen „aufspringt“ also aufgeht und unten einen schönen Fuß bekommt. Andere wieder behaupten, der Name kommt von dem als Motiv besonders beliebten springenden Rösslein.

Aber dieses besonders schöne Backwerk wurde immer schon in kunstvoll geschnitzte Modeln gedrückt und dann vor dem Backen lange getrocknet, damit es eine schöne modellierte Oberfläche bekommt und unten einen kleinen Fuß. Früher wurden sie das ganze Jahr über zu allen Festen des Jahres gebacken. Heute sind sie ein nur noch selten gesehenes Weihnachtsgebäck.

Diese süddeutsche Spezialität gibt es seit dem 18. Jahrhundert. Zuerst waren, die aus der Model gedruckten Springerle, ein billiger Ersatz für das teure Marzipan. Man nimmt statt den teuren Mandeln einfach Mehl, Eier und Zucker. Mancher bezeichnete sie deshalb als Bauernmarzipan oder Eiermarzipan. Jedoch es ging sogar noch billiger, wenn man die Springerle als Schmuck für den Weihnachtsbaum herstellte, dann nahm man statt der Eier einfach Wasser. Dieser Teig wurde dann Wassermarzipan genannt. Aber sie wurden schnell zu einem eigenständigen Gebäck, das sogar oftmals noch kunstvoll bemalt  wurde. Wahrscheinlich war der Biedermeier einer der Höhepunkte in der Beliebtheit der „Springerle“. Wegen ihrer aufwendigen Produktionsweise werden sie heute kaum noch gebacken und man muss lange suchen, bis man einen Bäcker oder Konditor findet, der die Tradition der Sprengerl oder Anisguetslis noch hochhält.

Hier ein ganz altes Rezept für Springerle:

„Nimm vom Mehl ein Pfund,
siebe es fein und stell es über Nacht ins Ofenloch.
Nimm ein Pfund trockenen Zucker und vier Eier,
aber große, zwei Eßlöffel aus ausgeblasen Anis –

wenn Du’s fein haben willst,
sollst Du ihn im Ofen bähen.
vom alten Baselbieter Kirsch zwei Esslöffel
(lupf sie gut und vertreibt den Eiergeschmack).

Zucker, Eier und Anis laß vom ältesten Buben rühren,
dann vom zweitältesten, dann vom dritten –

zusammen wenigstens eine halbe Stunde,
dann gib das Chrisiwasser (Baselbieter Kirsch) dazu,
schaffe das Mehl darunter und wirke den Teig auf dem Walkbrett,
bis er schön verbunden ist.
Wälle den Teig auf, aber nicht zu dünn,
und drücke mit Sorgsamkeit und Kraft die Model auf.

Hernach alles auf mehlbestäubtem Brett 24 Stunden
an die Wärme gestellt und bei schwacher Hitze backen.
Um sie schön weiß zu haben,
stäube vor dem Backen Mehl darauf und blase es hernach weg.

Kriegen sie keine Füßchen,
so schimpfe die Buben aus oder die Magd:
war schlecht gerührt oder Durchzug in der Stube.
Springerle ohne Füßchen sind eine Ärgernuß.“

Nun weiß man endlich, warum es wichtig ist, beim weihnachtlichen Backen eine Hilfe zu haben, schließlich bracht man bei Missgeschicken immer einen Schuldigen.

Hier aber nun für alle, die nach so einem alten Rezept nicht backen können mein modernes Rezept:
Rezept:
200   g  Eier (4 Stück)
500    g  Puderzucker
Vanille, geriebene Zitrone

500    g   Weizenmehl
Weizenstärke
Anis

Vollei, Puderzucker, Vanille und gerieben Zitrone auf ca. 50 ° Grad im Wasserbad unter ständigem rühren erwärmen. Anschließend gut schaumig schlagen. Mehl sieben und unterkneten. In Folie einwickeln und über Nacht kalt stellen.
Am nächsten Tag den Teig etwa fingerdick ausrollen (zum Ausrollen Weizenstärke nehmen) und dann in die Springerle-Formen drücken. Den Teig damit er nicht klebt ein bisschen mit Weizenstärke bestäuben. Nun die Plätzchen aus der Form klopfen und schön zurecht schneiden. Auf ein Backblech mit Backpapier etwas Anis streuen und darauf die Springerle legen. Nun über Nacht an einem warmen Ort trocknen lassen. Am nächsten Tag bei ca. 155 ° C ca. 10 – 15 Minuten backen. Wenn man alles richtig gemacht hat, bekommen sie unten einen schönen Fuß und oben sind sie noch weiß.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, warum müssen Springerle denn unbedingt einen Fuß haben und warum wird darum so ein Kult betrieben? Und die Antwort ist ganz einfach, weil es möglich ist und der Kult ist, dass es nicht jedem immer gelingt. Deshalb machen alle Profispringerlebäcker immer ein mords Tamtam um diese kleine Erhebung unterhalb der kleinen Gebildplätzchen. Diesem Gezeter muss ich mich natürlich anschließen, denn siehe oben:

Ein Springerle ohne Fuß ist wahrlich eine Ärgernuss!

In diesem Sinne wünscht Ihnen viel Spaß beim Nachbacken

Ihr Konditormeister Martin Schönleben

PS: Ich glaube weißer geht’s in der Backstube nicht mehr, obwohl vielleicht noch Baiser. Aber trotzdem melde ich mich hiermit beim Blockevent: Cookbook of Colors Januar Weiß an.

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11 Comments

  1. Lieber Martin,
    da zeigst Du mir ein Springerle von “meinem” Dom und läßt mich weiter im eiskalten Schnee sitzen :-(.
    Wenn’s taut bin ich wieder brauchbar….

    1. Liebe Earny,

      schön das dir mein Post gefällt, aber ich muss zugeben, dass auch mir die Springerle nicht immer gelingen. Das ist dann halt eine Ärgernuss.

      Mit nussigen Grüßen

      Martin

  2. Das ist wirklich lang her, dass ich zuletzt Springerle gegessen hab. Ich muss glatt mal meine Mutter fragen, ob die Oma die selbst gemacht hat oder ob sie gekauft waren.
    Und, falls selbst, wo die Form abgeblieben ist…

  3. Liebe Heike,

    unbedingt nachfragen, denn wenn wirklich noch alte Modeln da sind, dann sollte man sie wie einen Schatz hüten. Denn früher wurden die Holzmodeln viel aufwendiger und filigraner geschnitzt als heutzutage. Zu zeitaufwändig und damit unbezahlbar.

    Es grüßt aus der guten alten Zeit

    Martin

  4. Hallo Martin, ein tolles “Tutorial” mit geschichtlichem Hintergrund. Ehemals waren sie Opferbilder? Das wusste ich nicht, kenne die Springerle eigentlich nur zur Weihnachtszeit, also als Weihnachtsgebäck. Interessant, dass du das jetzt als Beitrag bringst. 🙂

    Liebe Grüße mit dem Kochlöffel von
    Barbara

    1. Liebe Barbara,
      da das älteste bekannte Holzmodel aus dem 14. Jahrhundert stammen soll, ist die Aussage mit den Opferbildern mit Vorsicht zu genießen! Denn das ist natürlich nur eine Mutmaßung, die immer gerne bei allen Gebäcken ins Spiel gebracht wird, die irgendwie etwas Bildliches darstellen. Die älteste Schweizer Model stammt aus dem 14. Jahrhundert und stellt ein Lamm dar, also wahrscheinlich eindeutig ein christliches Symbol. Wobei das Lamm natürlich auch wieder ein Opfersymbol in der katholischen Religion ist. Also alles nicht so einfach und eindeutig. Aber wahrscheinlich gerade deshalb ein so faszinierendes Thema.

      Es grüßt ganz ohne Opfer

      Martin

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